Radiologie und Recht 11/2020

Befunderhebungsfehler des Radiologen im Mammographie-Screening – aktuelle Rechtsprechung

Dieser Beitrag behandelt Haftungsfragen im Rahmen des Mammographie-Screenings. Relevant ist dabei die Abgrenzung des Diagnosefehlers von dem Befunderhebungsfehler, weil der Diagnosefehler zu einer Haftungsprivilegierung führt, während bei Vorliegen eines Befunderhebungsfehlers Besonderheiten im Rahmen des Beweisrechts gelten (vgl. § 630h Abs. 5 S. 2 BGB)

Ein Diagnosefehler liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) vor, wenn der Behandler einen tatsächlich erhobenen oder sonst vorliegenden Befund vorwerfbar falsch interpretiert und deshalb (kausal) nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachgebietes gebotenen therapeutischen oder diagnostischen Maßnahmen ergriffen hat (BGH, Urt. v. 21.12.2010, Az.: VI ZR 284/09; BGH, Urt. v. 26.01.2016, Az.: VI ZR 146/14; OLG München, Urt. v. 08.08.2013, Az.: 1 U 4549/12). Ein Befunderhebungsfehler liegt hingegen vor, wenn nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft gebotene Befunde erst gar nicht erhoben wurden.

Wird ein Patient an einen Radiologen zur Leistungserbringung überwiesen (sog. horizontale Arbeitsteilung), so darf sich der Radiologe grundsätzlich darauf verlassen, dass der überweisende Kollege des anderen Fachgebietes den Patienten in seinem Verantwortungsbereich mit der gebotenen Sorgfalt untersucht und behandelt hat und dass die Indikation zu der erbetenen radiologischen Leistung zutreffend gestellt ist, solange keine offensichtlichen Qualifikationsmängel oder Fehlleistungen des Zuweisers erkennbar werden (BGH, Urt. v. 05.10.1993, Az.: VI ZR 237/92). In diesem Sinne urteilte das OLG Hamm (26.05.2005, Az.: 3 U 127/02), dass bei Überweisung einer Patientin vom Gynäkologen zum Radiologen wegen Brustkrebsverdachts ausschließlich zwecks Durchführung einer Mammografie der Radiologe nicht zu einer umfassenden Beratung und Behandlung der Patientin verpflichtet ist.

Es schließt sich jedoch die Frage an, welcher Behandlungsfehlertyp anzunehmen ist, wenn die fehlerhafte Diagnose zur Folge hat, dass keine weiteren Befunde erhoben werden. Ein Diagnosefehler setzt voraus, dass der Behandler die medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen. Hat dagegen die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin, dass der Behandler die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat – er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklären –, dann ist dem Arzt ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Rechtlich problematisch an dieser Abgrenzung ist der Umstand, dass die – vorschnelle – Fehldiagnose (= Diagnosefehler) beweisrechtlich „belohnt“ wird, wohingegen dokumentierte Unsicherheiten in der differential-diagnostischen Zuordnung (= Befunderhebungsfehler) „bestraft“ werden. Die Lösung dieses Konfliktes ist in der Literatur umstritten und war gerichtlich noch nicht explizit entschieden. Ebenfalls nicht abschließend entschieden war der Fall, ob es einen Diagnosefehler darstellt, wenn sich der Arzt in objektiv zweifelhaften Fällen vor endgültiger Diagnosestellung nicht der Richtigkeit seines Ergebnisses durch Einholung einer zweiten Meinung eines Kollegen versichert. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, welche Anforderungen an die Durchführung einer Mammographie-Screening-Untersuchung zu stellen sind; insbesondere, ob die fehlende körperliche Untersuchung der Patientin durch den programmverantwortlichen Arzt (PVA) bei unklarem Befund den Vorwurf eines Befunderhebungsfehlers rechtfertigt.

Der vollständige Beitrag steht Ihnen in unserem Informationsportal kostenfrei zum Download zur Verfügung.