Radiologie und Recht 02/2022

Das Erfordernis der dreijährigen Tätigkeit im Rahmen des Verzichts zu Gunsten der Anstellung bei Vertragsarzt oder MVZ

Die Bundesrepublik Deutschland steht in den nächsten Jahren vor einem erheblichen demographischen Wandel. In den nächsten Jahren wird die Babyboomer-Generation in den Ruhestand bzw. Rente gehen (Vgl. nur Ausblick auf die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und den Bundesländern nach dem Corona-Jahr 2020, Statistisches Bundesamt 2021, S. 19 ff.). Die gleiche Altersentwicklung zeigt sich in der vertragsärztlichen Versorgung. Das Durchschnittsalter der Ärzte und Psychotherapeuten in der vertragsärztlichen Versorgung ist in den vergangenen zehn Jahren von rund 52,7 (2011) auf 54,2 (2020) Jahre gestiegen (Statistische Informationen aus dem Bundesarztregister, Bundesgebiet insgesamt, Stand: 31.12.2020, S. 16).

Mit dem nahenden Ruhestand geht für Vertragsärzte die Überlegung der Praxisübergabe bzw. der wirtschaftlichen Verwertung der Praxis einher. Zum wesentlichen Unternehmenswert einer Praxis gehört im Rahmen des immateriellen Werts unter anderem insbesondere die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 95 Abs. 2 S. 1 SGB V. Dies ist dann von wesentlicher Bedeutung, wenn für die Arztgruppe des abgebenden Vertragsarztes gemäß § 103 Abs. 1 S. 1 SGB V Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind. Denn dann kann der übernehmende Arzt oder Psychotherapeut die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nicht im einfachen Antragsverfahren erlangen.

Zur „Übertragung“ der Zulassung auf eine andere Rechtsperson bestehen in diesem Fall zwei rechtliche Möglichkeiten. Entweder der Vertragsarzt stellt gemäß § 103 Abs. 3a S. 1 SGB V einen Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens gemäß § 103 Abs. 4 SGB V und verzichtet anschließend auf seine Zulassung oder der Vertragsarzt verzichtet auf seine Zulassung, um gemäß § 103 Abs. 4a, Absatz 4b S. 1 SGB V bei einem anderen Vertragsarzt oder einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) als angestellter Arzt tätig zu werden.

Beim Nachbesetzungsverfahren entscheidet der Zulassungsausschuss zunächst gemäß § 103 Abs. 3a SGB V, ob ein Nachbesetzungsverfahren überhaupt durchgeführt wird (1. Stufe des Nachbesetzungsverfahren). Ergeht hierzu ein positiver Beschluss, schreibt die Kassenärztliche Vereinigung gemäß § 103 Abs. 4 S. 1 SGB V den Vertragsarztsitz aus und stellt eine Liste der eingehenden Bewerbungen zusammen (2. Stufe des Nachbesetzungsverfahrens). In einem weiteren Schritt hat der Zulassungsausschuss gemäß § 103 Abs. 4 S. 4 SGB V unter mehreren Bewerbern den Nachfolger für den Vertragsarztsitz des abgebenden Arztes nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen (3. Stufe des Nachbesetzungsverfahrens).

Demgegenüber ist beim Verzicht zu Gunsten der Anstellung gerade kein Nachbesetzungsverfahren notwendig. Der Zulassungsausschuss hat die Anstellung des abgebenden Arztes gemäß § 103 Abs. 4a, 4b S. 1 SGB V zu genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Auf die Genehmigung der Anstellung besteht ein Rechtsanspruch (Ladurner, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV, 2017, § 103 SGB V Rn. 94). Dies bedeutet, dass der Vertragsarztsitz des abgebenden Arztes weder durch die Kassenärztliche Vereinigung auszuschreiben ist, noch hat der Zulassungsausschuss eine Auswahlentscheidung hinsichtlich der Person, auf den sich die Anstellungsgenehmigung gemäß § 95 Abs. 2 S. 7, Abs. 9 S. 1 SGB V bezieht. Eine spätere Nachbesetzung der Arztstelle ist – ohne eine Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses – möglich, auch wenn Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, § 95 Abs. 4a S. 5, 4b S. 5 SGB V.

Vor dem Urteil des Bundesozialgerichts (BSG) vom 04.05.2016,Az.: B 6 KA 21/15 Rsetzten die Zulassungsausschüsse regelmäßig eine bestimmte Dauer der Tätigkeit des Verzichtenden – zumeist ca. 2 Quartale als sogenannte „Schamfrist“ – voraus, bevor die Arztstelle nachbesetzt werden konnte (Gerdts, Das Urteil des BSG vom 04.05.2016 – B 6 KA 21/15 R – Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung bei Praxisübertragungen, ZMGR 2018, 9, 10). Teilweise wurde jedoch auch eine Nachbesetzbarkeit nach „einer logischen Sekunde“ als zulässig erachtet (Greve, Anmerkung zum Urteil des BSG vom 04.05.2016, Az.: B 6 KA 21/15 R,ZMGR 2016, 379).

Das BSG hatte in dem Urteil vom 04.05.2016 (BSG, Urteil vom 04.05.2016, Az.: B 6 KA 21/15 R) entschieden, dass das Recht zur Nachbesetzung einer Arztstelle grundsätzlich nur dann bestehe, wenn der Arzt dort mindestens drei Jahre tätig war, oder – wenn er früher ausscheidet – jedenfalls ursprünglich die Absicht hatte, dort mindestens drei Jahre tätig zu sein (die „Drei-Jahres-Frist“; BSG, Urteil vom 04.05.2016, Az.: B 6 KA 21/15 R). Die Entscheidung betraf nach dem Sachverhalt nur ein MVZ. Die hierbei aufgestellten Rechtsgrundsätze sind jedoch auf Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) zu übertragen (Greve,ZMGR 2016, 379; Willaschek, Anmerkung zu BSG, Urtl. V. 4.5.2016 – B 6 KA 21/15 R (Bay. LSG), MedR 2016, 1011).

Sinn und Zweck der gleich darzustellenden Anforderungen des BSG war es, Gestaltungsmissbrauch im Sinne einer Umgehung des Nachbesetzungsverfahrens zu verhindern (Schroeder/Printzenin: Ratzel/Luxemburger, Handbuch Medizinrecht, 4. Aufl., Heidelberg 2021, Rn. 754; Willaschek, MedR 2016, 1011,1012). Dies ist bei der Bewertung des Urteils und den nachfolgenden Ausführungen im Hinterkopf zu behalten. Die Drei-Jahres-Frist beruht ausschließlich auf Richterrecht und ist im Gesetz jedenfalls nicht ausdrücklich normiert.

Dies vorausgeschickt soll in unserem Beitrag die rechtliche Begründung der Drei-Jahres-Frist, deren grundsätzliche Voraussetzungen und Ausnahmen von derselben dargelegt und hierzu kritisch Stellung genommen werden.

Der vollständige Beitrag steht Ihnen in unserem Informationsportal kostenfrei zum Download zur Verfügung.